Warum uns Radiowerbung nervt: Die Seitenbacher-Strategie und das Phänomen der Reaktanz

Von Karolin Kinzius.

Radiowerbung ist ein fester Bestandteil unseres Alltags, besonders im Auto oder bei der Arbeit. Doch nicht jede Werbung kommt bei den Hörer:innen gut an. Ein bekanntes Beispiel ist die Seitenbacher-Werbung, die mit ihrem markanten Stil und der häufigen Wiederholung polarisiert. Einige finden sie lustig und einprägsam, viele andere nervt sie. Was passiert in unserem Kopf, wenn wir immer wieder mit derselben Werbung konfrontiert werden? Hier kommt das Konzept der psychologischen Reaktanz ins Spiel.

Was ist psychologische Reaktanz?

Psychologische Reaktanz ist eine emotionale Reaktion, die auftritt, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird. Entwickelt wurde das Konzept von Brehm (1966). Wenn uns zum Beispiel durch Werbung suggeriert wird, dass wir ein bestimmtes Produkt unbedingt kaufen sollen, kann das den Drang auslösen, genau das Gegenteil zu tun. Wir fühlen uns manipuliert und wollen unsere Unabhängigkeit bewahren. Besonders in der Werbung ist dieser Effekt gut zu beobachten, wenn zu viel Druck ausgeübt oder zu oft dasselbe gesendet wird.

Reaktanz in der Radiowerbung

Radiowerbung hat gegenüber anderen Werbeformen wie Fernsehwerbung oder Online-Anzeigen einige Besonderheiten. Sie wirkt rein über das Gehör, das heißt, sie muss es schaffen, nur durch Töne, Musik und Sprache unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Zudem hat Radiowerbung oft eine kürzere Laufzeit, was es schwieriger macht, die Hörer:innen zu fesseln (Schulberg, 1996). Genau deshalb wird Radiowerbung häufig wiederholt, um im Gedächtnis zu bleiben. Doch hier liegt auch eine Gefahr: Zu viel Wiederholung kann dazu führen, dass die Hörer:innen genervt sind und die Werbung ablehnen. Dieses Phänomen nennt man den „wear-out“-Effekt (Fennis & Stroebe, 2010).

Die Seitenbacher-Werbung ist ein Paradebeispiel dafür, wie Radiowerbung Reaktanz auslösen kann. Mit ihrem monotonen Stil, dem schwäbischen Akzent und der ständigen Wiederholung des Markennamens hat sie sich zwar in die Köpfe der Menschen gebrannt, führt aber auch zu negativen Reaktionen. Viele empfinden die Werbung als aufdringlich und störend (Heune, 2017).

Die statistische Auswertung der Umfrage

Um herauszufinden, wie stark die Seitenbacher-Werbung Reaktanz auslöst, wurde eine Umfrage mit 57 Personen durchgeführt. Untersucht wurde, ob die Häufigkeit des Hörens, die Wahrnehmung der Sprache und das allgemeine Stören durch die Werbung das Kaufverhalten beeinflussen. Vier Hypothesen wurden dabei getestet:

  1. Häufigkeit und Kaufverhalten: Je öfter die Werbung gehört wird, desto mehr vermeiden die Hörer:innen das Produkt.
  2. Sprache und Kaufverhalten: Je unangenehmer die Sprache, desto weniger wahrscheinlich wird das Produkt gekauft.
  3. Stören und Kaufverhalten: Je mehr die Werbung als störend empfunden wird, desto geringer ist die Kaufbereitschaft.
  4. Kombinierte Effekte: Je häufiger die Werbung gehört wird und je störender und unangenehmer sie ist, desto weniger wird das Produkt gekauft.

Die Ergebnisse der Regressionsanalysen lieferten interessante Erkenntnisse. Zunächst zeigte sich, dass die Häufigkeit des Hörens der Seitenbacher-Werbung keinen signifikanten Einfluss auf das Kaufverhalten hatte. Die Regressionsanalyse zu dieser Hypothese war nicht signifikant (F(1,55) = 1.687e-29; p = 1), was bedeutet, dass das bloße wiederholte Hören der Werbung keine direkte Auswirkung darauf hatte, ob die Hörer:innen das Produkt kauften oder nicht.

Im Gegensatz dazu ergab die Analyse der sprachlichen Gestaltung der Werbung ein signifikantes Ergebnis. Die Sprache, insbesondere die Betonung, der monotone Stil und der schwäbische Akzent, hatten einen signifikanten Einfluss auf das Kaufverhalten (F(1,55) = 15.43; p < .05). Dieser Effekt erklärte 21,9 % der Varianz im Kaufverhalten, was zeigt, dass die Art und Weise, wie die Werbebotschaft sprachlich präsentiert wurde, ein entscheidender Faktor für die Ablehnung des Produkts war. Je unangenehmer die Sprache wahrgenommen wurde, desto unwahrscheinlicher war es, dass die Befragten das beworbene Produkt kauften.

Die Untersuchung des Faktors „Stören“ ergab, dass die Wahrnehmung der Werbung als störend zwar eine gewisse negative Tendenz auf das Kaufverhalten hatte, die Ergebnisse jedoch knapp an der Signifikanzgrenze vorbeigingen (F(1,55) = 3.75; p = .058). Dies bedeutet, dass die Wahrnehmung von Störungen durch die Werbung möglicherweise einen Effekt auf das Kaufverhalten hat, dieser Effekt jedoch in dieser Studie nicht stark genug war, um als statistisch signifikant zu gelten.

Schließlich wurden die kombinierten Effekte von Häufigkeit, Sprache und Stören gemeinsam analysiert. Die multiple Regressionsanalyse zeigte ein signifikantes Ergebnis (F(3,53) = 5027; p < .05). Das Modell erklärte 22,15 % der Varianz im Kaufverhalten, wobei jedoch nur die sprachliche Gestaltung einen signifikanten Einfluss zeigte. Dies bestätigt die vorherigen Analysen, dass die Sprache der wichtigste Einflussfaktor ist, während die Häufigkeit des Hörens und das Stören keine signifikante Rolle spielte.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass vor allem die sprachlichen Elemente der Seitenbacher-Werbung zu negativen Reaktionen und einer möglichen Vermeidung des beworbenen Produkts führen. Die bloße Wiederholung der Werbung oder die Wahrnehmung als störend hatten hingegen keinen signifikanten Einfluss auf das Konsumverhalten.

Fazit: Sprache als Schlüssel zur Reaktanz

Die Analyse zeigt, dass in der Radiowerbung nicht nur der Inhalt, sondern auch die Art und Weise, wie gesprochen wird, entscheidend ist. Die Sprache der Seitenbacher-Werbung scheint der größte Auslöser für negative Reaktionen zu sein. Während die Wiederholung von Werbebotschaften als üblich gilt, kann eine unangenehme Präsentation in Form von monotoner Sprache oder einem starken Akzent dazu führen, dass Hörer:innen das beworbene Produkt meiden.

Für Werbetreibende bedeutet dies, dass sie bei der Gestaltung ihrer Radiowerbung besonders auf die sprachlichen Elemente achten sollten. Denn selbst wenn eine Werbung im Gedächtnis bleibt, kann sie durch ungeschickte Sprachwahl genau das Gegenteil bewirken und potenzielle Käufer:innen abschrecken. Weitere Studien könnten die genaue Rolle der Sprache in der Werbung und ihre Verbindung zur Reaktanz noch detaillierter untersuchen.


Literaturverzeichnis 

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Fennis, B. M., & Stroebe, W. (2010). The psychology of advertising. Psychology Press.

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Sowinski, B. (1998). Werbung. Berlin, Boston: De Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110930665


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