Wie Stereotype Reaktanz auslösen – Ein Blick auf den Disput zwischen Shirin David und Thomas Gottschalk

Von Hanna Woljeme.

In der letzten Folge der Unterhaltungssendung „Wetten, dass…?“ wurden nicht nur prominente Gäste und spannende Wetten, sondern auch eine aufsehenerregende Diskussion zwischen Moderator Thomas Gottschalk und der Sängerin Shirin David gezeigt. Ihre Unterhaltung wurde zu einem Paradebeispiel für das Auftreten von psychologischer Reaktanz – einem Konzept, das erklärt, wie Menschen auf wahrgenommene Bedrohung ihrer Freiheit reagieren (vgl. Güttler 2010:44).

Was ist psychologische Reaktanz?

Die Theorie der psychologischen Reaktanz beschreibt die motivationale Reaktion von Menschen, wenn sie das Gefühl haben, in ihrer Autonomie eingeschränkt zu werden. Wenn Freiheiten bedroht erscheinen, entsteht oft Widerstand oder Trotz. Dies kann durch direkte Einschränkungen, wie Verbote oder Vorschriften, oder durch subtile soziale Erwartungen ausgelöst werden. Besonders intensiv wird die Reaktanz empfunden, wenn die eingeschränkte Freiheit als wichtig angesehen wird (vgl. Raab et al., 2016: 73).

Reaktanz ist dabei nicht nur ein psychologisches Phänomen, sondern häufig sozial bedingt. In Kommunikationssituationen zeigt sich Reaktanz beispielsweise in Form von Abwehrreaktionen gegen soziale Normen oder als Trotzverhalten gegenüber manipulativ wahrgenommenen Botschaften (vgl. Arnold, 2015: 86). Besonders interessant ist, dass der sogenannte Boomerang- Effekt auftritt: Die eingeschränkten Optionen wirken plötzlich besonders attraktiv, was dazu führt, dass Menschen diese umso stärker verfolgen.

Der Kontext: Shirin David trifft Thomas Gottschalk

Shirin David, bekannt für ihre moderne und selbstbewusste Art, repräsentiert eine neue Generation von Kunstschaffenden. In der besagten Sendung trat sie mit Thomas Gottschalk in den Dialog. Dabei äußerte Thomas Gottschalk Überraschung über Davids Vorlieben und ihre Selbstdarstellung. Besonders bemerkenswert war seine Aussage: „Ich hätte dir auch die Feministin nicht angesehen“. Diese Bemerkung deutet auf tiefsitzende Stereotype hin, die Davids Identität Infrage stellten. Davids Reaktion darauf war deutlich: „Warum denn nicht?“

Stereotype und die Reaktanztheorie

Aussagen, wie die von Thomas Gottschalk, können als Einschränkung wahrgenommen werden, welche die Autonomie und Selbstdefinition bedroht. Laut der Reaktanztheorie reagieren Menschen besonders stark auf Einschränkungen, die ihre Identität betreffen (vgl. Barreto & Ellmers, 2002). David verteidigte ihre Position, indem sie betonte, dass Feminismus und ein attraktives Aussehen sich nicht ausschließen: „Als Feministin können wir gutaussehen und wir können klug sein und eloquent und wunderschön zugleich“. 

Die Bemerkungen Gottschalks lassen sich auch in einen größeren gesellschaftlichen Kontext einordnen. Die feministischen Bewegungen, die seit den 1960er Jahren für Geschlechtergleichheit kämpfen, haben stets darauf hingewiesen, dass Frauen nicht in binäre Rollen wie „schön“ oder „intellektuell“ eingeordnet werden sollten (vgl. Waldmann, 2019: 38). Judith Butler (2004) hebt hervor, dass Geschlechternormen oft als unsichtbare Machtstrukturen wirken, die Individuen dazu zwingen, sich an stereotype Rollenbilder anzupassen.

Analyse des Dialogs

Die Interaktion zwischen Gottschalk und David zeigte mehrere Mechanismen der Reaktanz:

  • Abwehrreaktion: Davids Rückfragen („Warum denn nicht?“) sind klare Signale für den Wunsch ihre bedrohte Freiheit zu verteidigen (vgl. Raab et al., 2016: 74).
  • Boomerang- Effekt: Die Einschränkung verstärkte Davids Motivation, ihre Freiheit zur Selbstdefinitionhervorzuheben. Ihr selbstbewusstes Auftreten und ihre Argumentation verdeutlichen dies (vgl. Arnold, 2015:100).
  • Kontextuelle Dynamik: Der öffentliche Rahmen verstärkte die Reaktanz, da David ihre Identität nicht nur fürsich selbst, sondern auch vor einem breiten Publikum verteidigte (vgl. Rosenberg & Siegel, 2018: S.2).

Darüber hinaus wurden Unterschiede in den Kommunikationsstilen der beiden deutlich. Während Gottschalk mithumorvollen und scheinbar beiläufigen Bemerkungen agierte, setzte David auf direkte und reflektierte Antworten. Dies unterstreicht den Generationenkonflikt zwischen traditionellen und modernen Kommunikationsmustern.

Was lernen wir daraus?

Der Dialog illustriert, wie tief gesellschaftlich Normen und Stereotype in der Kommunikation verankert sind. In interpersonellen Interaktionen können solche Normen Spannungen erzeugen, insbesondere wenn unterschiedliche Generationen und Weltanschauungen aufeinandertreffen. Der Fall zeigt auch, dass Reaktanz eine wichtige Rolle im öffentlichen Diskurs über Selbstdefinition und Freiheit spielt.


Literaturverzeichnis

Arnold, C. (2015) Ubiquitärer e-Service für Konsumenten: Die Perspektive der Theorie Psychologischer Reaktanz. 2015 edn. Wiesbaden: Springer Verlag.

Barreto, M. and Ellmers, N. (2002) ‘The Impact of Respect Versus Neglect of Self Identities on Identification and Group Loyalty’, Personality and Social Psychology Bulletin, 28(5), S.629- 639.

Butler, J. (2004) Undoing Gender. New York: Routledge.

Güttler, P.O. (2010) Sozialpsychologie: Soziale Einstellungen, Vorurteile, Einstellungsänderungen. Germany DeGruyter.

Raab, G. et al. (2016) Marktpsychologie: Grundlagen und Anwenung. 4th edn.Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Rosenberg, B.D. and Siegel, J.T. (2018) ‘A 50-Year Review of Psychologicsl Reactance Theory: Do not read this Article’ , Motivation Science. [Advance online publication].

Waldmann, M. (2019) Queer/ Feminismus und kritische Männlichkeit: Ethico- politische und pädagogische Positionen. 1st edn. Leverkusen- Opladen: Budrich 

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