Von Monika Schumann.
Die HBO-Serie Game of Thrones begeistert seit ihrer Erscheinung weltweit Millionen von Zuschauern, was nicht zuletzt an ihrem Zusammenspiel aus fantastischen Elementen und realitätsnahen, mittelalterlich anmutenden Szenen und Settings liegen mag. Des Weiteren handelt es sich bei Game of Thrones auch um einen „Resonanzraum für die Gegenwart, wie die vielfältigen Debatten zeigen, die sich um Sex und Gewalt, Politik und Macht, Exotismus und Gender drehten“ (Brüns 2019: 13). Bei den teilweise schwer durchschaubaren und komplizierten politischen Machtspielen, zu denen Intrigen, Verheiratung der Kinder (oder Geschwister, wie im Falle der Tagaryens) u.v.m. zählen, geht es in der Erfolgsserie immer nur um eines: die Eroberung des eisernen Throns, und damit verbunden, Macht.
Bei einem der beliebtesten Charaktere der Serie handelt es sich wohl um die junge Daenerys Tagaryen, die von ihrem Bruder im Tausch mit einer Armee zur Eroberung des eisernen Throns an den großen Khal Drogo verheiratet wird. Gebannt verfolgten die Zuschauer Folge um Folge, wie Daenerys vom ängstlichen, zurückhaltenden und unterwürfigen Mädchen zur selbstbewussten Herrscherin wurde. Nicht zuletzt die Entwicklung ihrer Beziehung zu Khal Drogo scheint einen maßgeblichen Einfluss auf ihre spätere Rolle als Herrscherin zu haben.
Mithilfe einiger filmanalytischer Aspekte wurde im Genaueren die Entwicklung der Beziehung von Khal Drogo und seiner jungen Ehefrau Daenerys Tagaryen beurteilt. Hierzu wurden vor allem Einstellungsgrößen, Kamerabewegungen bzw. -perspektiven und die Dialoge zwischen den Figuren betrachtet. Die Einstellungsgröße, also die Distanz zum gefilmten Objekt, kann vor allem „Konsequenzen für die Verständlichkeit der Handlung“, aber auch „atmosphärische und emotionale Qualitäten“ (Korte 2010: 34) haben, wobei die Kamerabewegungen ebenfalls Einblicke in die Emotionen der Personen geben kann. Auch die Kameraperspektive ist für eine Beurteilung der im Film gezeigten Beziehungen von maßgeblicher Bedeutung, denn sie kann Macht und Stärke, aber auch Unterlegenheit oder Schwäche unterstreichen (vgl. Korte 2010: 49).
Vom jungen Mädchen zur mächtigen Khaleesi
Zu Beginn der Serie befindet sich Daenerys in einer denkbar schlechten und unterlegenen Position: von ihrem herrschsüchtigen Bruder erfährt sie statt Respekt und Zuneigung bloß zahlreiche Beleidigungen, Bedrohungen und Misshandlungen; für Khal Drogo und seine Gefolgschaft stellt sie als Frau nicht mehr als ein Objekt dar, was in der Hochzeitsnacht der frisch Vermählten deutlich zum Tragen kommt. Trotz dem deutlichen Unwillen seiner jungen Braut vollzieht er ungerührt den Geschlechtsverkehr, was die Rolle einer Frau in der Kultur der Dothraki noch einmal unterstreicht (vgl. Brüns 2014: 58). Trotz dem grausamen Beginn der Ehe versucht Daenerys u. a. mit Hilfe ihrer Dienerin Doreah, ihren Mann ‚glücklich zu machen‘. Diese bringt ihr bei, ihre Andersartigkeit und ihre Sexualität zu nutzen, um ihren Gatten zu beeindrucken: der Schlüssel zum Glück in der Liebe liegt laut ihr im Selbstbewusstsein. Bei der Anwendung ihrer neu gewonnenen ‚Erkenntnisse‘, sprich, dem ersten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr des Paares, wird bei der Betrachtung der unterschiedlichen Kameraperspektiven eine erste Verschiebung der Machtverhältnisse in der Beziehung deutlich: sieht man Daenerys vor dieser Szene häufig ihrem Gatten unterstellt, befindet sie sich hier in der dominanteren Position und erkämpft sich mit ihrem Selbstbewusstsein den Respekt und die Anerkennung ihres Mannes, der auch im Folgenden immer wieder duldet, dass sie in ihrer Position als Khaleesi deutlich aus der traditionellen Rolle der Frau heraustritt. Laut Stutterheim (2017: 11) lernt Daenerys nicht nur die Ausübung erotischer Künste, sondern zugleich auch das Herrschen über die Dothraki.
Im Verlauf der ersten Staffel der Erfolgsserie zeigt sich deutlich, wie Daenerys immer mehr Facetten der dothrakischen Kultur und Sprache annimmt. Ob sie dem ganzen Khalasar befiehlt, seine Reise zu pausieren – was in den Augen der Dothraki einen Tabubruch sondergleichen darstellt, da sie schließlich eine Frau ist, die keine Befehle zu erteilen hat – oder sich deutlich gegen ihren herrschsüchtigen Bruder behauptet: die junge Tagaryen erlangt, je mehr sie in ihre Rolle als Khaleesi hineinwächst, immer mehr Selbstbewusstsein, welches ihr durch die Durchsetzung eigener Werte auch zu immer mehr Macht im Khalasar verhilft. Spätestens nach dem barbarisch wirkenden dothrakischen Ritual zur Stärkung ihres ungeborenen Kindes, ein rohes Pferdeherz zu verspeisen, wird Daenerys von Khal Drogos Khalasar vollkommen als Khaleesi anerkannt – nachdem sie, zum ersten Mal für den Zuschauer sichtbar, eine Rede an die Dothraki richtet, skandieren diese den Namen ihres ungeborenen Kindes, bejubeln sie, Khal Drogo trägt sie buchstäblich auf seinen Händen durch den Raum. Von Ser Joras Mormont, ihrem treuen Berater, hört der Zuschauer den gewichtigen Satz „Heute ist sie wahrhaftig eine Königin“. Ihren neu errungenen Status nutzt sie auch bei einem Überfall der Dothraki auf ein Dorf der ‚Lämmermenschen‘, bei dem sie entgegen der dothrakischen Tradition mehrere Frauen vor der Vergewaltigung und Versklavung schützt. Dies sorgt für einen heftigen Konflikt zwischen Drogo und einem Mann namens Mago, der sie immer noch als Fremde sieht, die keine Befehlsgewalt unter den Dothraki hat. Drogo stellt sich klar auf die Seite seiner Frau, was, wie erst im späteren Verlauf der Serie klar wird, schlussendlich seinen Tod bedeuten wird. Dennoch: nach dem Tod Khal Drogos werden es auch diese von ihr geretteten SklavInnen sein, die ihr weiterhin treu folgen.
Auch, wenn Daenerys ihren großen Eroberungszug erst nach dem Tod ihres Mannes als ‚Mutter der Drachen‘ antritt, so ist es doch die Beziehung zu Drogo, die trotz ihres unfreiwilligen Beginns ihre charakterliche Änderung anstößt und sie von einem ängstlichen Mädchen zur selbstbewussten Herrscherin macht. Durch sie erhält sie Zutritt zu einer ihr fremden Gesellschaft, die sie schlussendlich (zumindest zum Großteil) als Anführerin anerkennt und ihr folgt. Dass es sich hierbei um wechselseitige Einflüsse handelt, wird schnell klar. Daenerys hat sich zwar vorerst dem Willen ihres Mannes zu beugen und der klassischen Rollenverteilung der Kultur zu fügen; genießt allerdings durch den Status als Khaleesi auch Schutz vor ihrem Bruder und seinen Gewaltausbrüchen. Nachdem sie sich mit dem Erlernen der Sprache und der Aneignung kultureller Aspekte intensiv bemüht hat, von der Gruppe anerkannt zu werden, sind es doch nicht alle Aspekte der Kultur, die sie für sich als richtig anerkennt. So setzt sie sich z. B. für das Verbot von Sklavenhandel ein. In „Leadership in Game of Thrones“ betont Biehl, dass die Narration von Game of Thrones eine Vorstellung von Führung wiedergibt, die Führung und Macht nicht als Besitz, sondern „als sozialen Prozess beschreibt, der von Leadern und Followern gemeinsam gestaltet und ko-kreiert wird“ und „durch Akzeptanz, geteilte Werte und Wertschätzung“ (Biehl 2020: 10) entsteht. Auch Stutterheim beschreibt in ihrem Buch „Game of Thrones sehen“ (2017: 41) Macht als menschliche „Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“ und dass Macht nur dann erhalten bleibt, wenn die Gruppe zusammenhält. Der Machtzuwachs von Daenerys Tagaryen ist also ein wechselseitiger Prozess zwischen ihr, ihrem Ehemann und dessen Gefolgschaft, da es ohne Khal Drogo und seinen Respekt ihr gegenüber wohl kaum dazu gekommen wäre, dass Daenerys sich gegen die bestehenden Machtstrukturen in der dothrakischen Gesellschaft durchsetzen konnte.
Literaturverzeichnis
Benioff, David/ Weiss, Daniel Brett (Produzierende) (2011-19): Game of Thrones (DVD). HBO. [Serie, Staffel 1].
Biehl/ Brigitte (2020): Leadership in Game of Thrones. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer Verlag.
Brüns, Elke (2019): Game of Thrones. 100 Seiten. 1. Auflage. Stuttgart: Reclam
Goodall, Grant (2023): Constructed Languages. In: Annual Review of Linguistics. Ausgabe 9/23, S. 419-437 DOI: https://doi.org/10.1146/annurev-linguistics 030421-064707.
Korte, Helmut (2010): Einführung in die Systematische Filmanalyse. Ein Arbeitsbuch. 4. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag
Kuhn-Lääs, Maarja (2002): Zweisprachigkeit und kulturelle Identität. Psychosoziale Probleme von eingewanderten sprachlichen Minderheiten. 1. Auflage. Tostedt: Attikon Verlag.
Müller, Stefan/ Gelbrich, Katja (2014): Interkulturelle Kommunikation. 1. Auflage. München: Vahlen.
Peterson, David J. (2018): Living Language Dothraki. Ein Sprachkurs von David J. Peterson basierend auf der HBO-Erfolgsserie Game of Thrones. 2. Auflage. Braunschweig: Zauberfeder Verlag.
Spiegel, Simon (2016): Everything in the world is about sex, except sex. Sex is about power. Dramaturgie einer Serie. 1. Auflage. Paderborn: Brill.