Muss aus jeder Mücke ein Elefant werden?

Von Jacqueline Ruffen.

In unserer vernetzten Welt kann (fast) jeder mit jedem kommunizieren. Dank Emojis haben wir sogar die Möglichkeit, Emotionen und „wie etwas gemeint ist“ mit visueller Unterstützung zu vermitteln. Trotzdem kommt es im schriftlichen Austausch nicht selten zu Missverständnissen, die ein ordentliches Potenzial für Konflikte in sich bergen. Eigentlich sollte man da doch meinen, dass es in persönlichen Interaktionen mit den vielfältigen verbalen, visuellen, gestischen und mimischen Ressourcen fast unmöglich ist, das Konflikte entstehen… Oder?

Interaktion = Streit? Potenziell ja!

Wann immer Menschen miteinander kommunizieren, wird zwar ein gewisses Harmoniebestreben (vgl. Hanschitz 2007: 63) wechselseitig vorausgesetzt, dennoch kann es jederzeit zu (un-)bewussten Äußerungen kommen, die aufgrund verschiedener Auslegungen oder Charaktereigenschaften missverstanden werden. Zur besseren Identifizierung von Konfliktsymptomen habe ich mich an die von Heigl nach Kreyenberg (2005) definierten Kategorien gehalten, die jeweils zwischen (Non-)verbal, offen/verdeckt und aktiv/passiv unterscheiden. Bevor jedoch ein Missverständnis zum Konflikt eskaliert, besteht die Chance, dass die Beteiligten das Konfliktpotenzial frühzeitig identifizieren und sich bestimmter Kommunikationsstrategien bedienen, um eine (De-)Eskalation oder komplette Vermeidung des Streits zu erreichen. Genau diese Kommunikationsstrategien habe ich mir in meiner Hausarbeit „Konfliktpotenziale in interpersonaler Kommunikation und wie Interagierende diese koordinieren“ genauer angeschaut.

Rage im Straßenverkehr oder Karen und der Manager? Potenzielle Streitgespräche lokalisieren
(C) Jacqueline Ruffen


Die zugrundeliegenden Daten habe ich selbst in einem vorherigen Seminar erhoben. Zu diesem Zweck habe ich drei meiner Freunde audiovisuell aufgezeichnet, ohne ihnen konkrete Anweisungen zu geben, außer der Information, dass sie aufgenommen werden. Anweisungen schienen überflüssig zu sein, da, wie bereits erwähnt, in fast jeder zwischenmenschlichen Konstellation Konfliktpotenzial vorhanden ist – diese Vorannahme wurde in den Daten bestätigt. Um die Daten nutzen zu können, habe ich entsprechende Sequenzen selektiert und multimodal mit Hilfe des von Lorenza Mondada (2018) entwickelten Transkriptionssystems aufbereitet. Methodisch habe ich in meiner Analyse die Konversationsanalyse genutzt, deren Ziel die Untersuchung der zugrundeliegenden Mechanismen von Interaktionen „als sich selbst organisierende, reproduzierende und explizierende Strukturen“ (Bergmann 2010: 263) aus ihrer „inneren Logik und Dynamik“ (ebd.: 263) heraus ist. Perfekt also, um ein bisschen Detektiv zu spielen und verdeckte Vorgänge offenzulegen.

Ergebnisse

In den ausgewählten Sequenzen haben sich tatsächlich diverse Techniken herauskristallisiert, die die Interagierenden nutzen, um aufkeimendes Konfliktpotenzial zu bewältigen. Besonders interessant ist „Schweigen“ als Reaktion auf eine ins Lächerliche ziehende Aussage, um das „verletzt-sein“ und somit die Dynamik der potenziellen Entstehung eines Streitthemas abzubrechen.

(C) Jacqueline Ruffen


Dank der multimodalen Annotation konnte ich mich in meiner Analyse nicht nur auf die sprachlichen Äußerungen stützen, sondern zusätzlich körperliche Reaktionen wie Gesten, Blicke oder Körperhaltungen (vgl. Deppermann 2018) berücksichtigen. Es ist beispielsweise interessant, dass die Person, die die mit Schweigen beantwortete Aussage (Zeile 058) getätigt hat, den Blick nach etwa einer Sekunde abwendet (Zeile 059). Die dritte beteiligte Person nimmt nach dem Hin- und Herschauen zwischen den beiden Interaktanten das Rederecht wahr, um den Gesprächsfluss wiederherzustellen (Zeile 060). Da beide bis dahin schweigenden Personen simultan das Sprachrecht ergreifen wollen und sich bereitwillig am neuen Austausch beteiligen (Zeilen 061 und 062), kann das sich anbahnende Konfliktpotenzial als erfolgreich deeskaliert bewertet werden. Weitere interessante Erkenntnisse, wie das Wahrnehmen und Abwenden potenzieller Konflikte durch die auslösende Person selbst, zeigen, wie viel in alltäglichen Situationen „zu holen ist“ aufgrund der Vielfalt und Individualität von Konfliktpotenzialen und (De-)Eskalationsmechanismen.

In zukünftigen Arbeiten, die sich mit dieser oder einer ähnlichen Thematik befassen, könnte ein interessanter Fokus auf den positiven statt negativen Effekten von Konflikten liegen. Einsicht und ein Perspektivenwechsel sprechen schließlich für einen reflektierten Umgang mit den eigenen Überzeugungen und sind definitiv als „positive Entwicklungen“ zu werten. Vielleicht ist es auch spannend, nach einer Hierarchie von angewandten Methoden zu suchen, wenn man sich Personenkonstellationen unterschiedlicher Bekanntheitsgrade anschaut.

Was denkst du: Ist es wahrscheinlicher, dass du dich im Austausch mit einer fremden Person potenziellem Konfliktpotenzial hingibst, oder „kabbelst“ du dich eher mit engen Freunden?


Literaturverzeichnis

Bergmann, Jörg R. (2010): Ethnomethodologische Konversationsanalyse, in: Ludger Hoffmann (Hrsg.): Sprachwissenschaft. Ein Reader, 3. Aufl.. Berlin/New York: De Gruyter, S. 258 – 274.

Deppermann, Arnulf (2018): Sprache in der multimodalen Interaktion, in: Deppermann, Arnulf und Reineke, Silke (Hrsg.): Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 51 – 86.

Hanschitz, Rudolf-Christian (2007): Konflikte und Konfliktbegriffe, in: Krainz, Ewald E. (Hrsg.): Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Bd. 3. Wiesbaden: Springer, S. 63 – 82.

Heigl, Norbert J. (2014): Konflikte verstehen und steuern. Wiesbaden: Springer.

Mondada, Lorenza (2018): Multiple Temporalities of Language and Body in Interaction. Challenges for Transcribing Multimodality, in: Research on Language and Social Interaction, Bd. 51, Nr. 1, S. 85 – 106.


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