How to Save Lives – Effiziente Instruktionen während eines Massenanfalls von Verletzten

Von Eva Wülfing.

Hey Janine, es wäre super lieb, wenn du diesen Patienten versorgen könntest, also den Blonden da hinten, der Schnitt am Bauch sieht echt übel aus, aber nur, wenn du es gerade einrichten kannst, und du kannst dir auch aussuchen, wer dir dabei hilft.“ Diese Instruktion ist alles, aber nicht eindeutig und effizient. Faktoren, die in manchen Situationen tatsächlich über Leben und Tod entscheiden können.

Das Forschungsinteresse

Die Relevanz von eindeutigen, effizienten Instruktionen und deren Gelingensbedingungen betrachte ich in meiner Masterarbeit mit dem Thema „Intra- und interpersonelle Koordinierung bei der Instruktion von Einsatzkräften bei einer MANV-Übung“. Hinter diesem griffigen Titel, der bei jeder außeruniversitären Erkundigung über das Thema meiner Abschlussarbeit verständnisloses Nicken und fragende Blicke hervorruft, steckt Forschungsarbeit, von der ich hoffe, dass keiner der Lesenden jemals Teil des betrachteten Settings eines Massenfalls von Verletzten (MANV) sein wird. Denn geschehen in unserem Alltag Unfälle einer bestimmten Größenordnung, werden diese als MANV deklariert, und ein entsprechend großes Team an Einsatzkräften mobilisiert, um den Unfall zeitnah aufzuarbeiten. Diese Unfälle können z.B. Massenkarambolagen, Eisenbahnunglücke oder Bombenattentate sein und stellen an beteiligte Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Krankenhaus ein Höchstmaß an Anforderung, da sie auf verschiedenen Ebenen Einsatz, Teamarbeit und Konzentration erfordern, um die Situationen schnellstmöglich zu kontrollieren und Verletzte zu versorgen.

Die Fragestellung

Ich setze mit meiner Masterarbeit bei den Personen an, die Koordinationsarbeit für das Gesamtgeschehen leisten, was in der Regel dem organisatorischen Leiter (OrgL), welcher das Management von Feuerwehr und Rettungskräften zur Aufgabe hat, sowie dem leitenden Notarzt (LNA), der das medizinische Personal koordiniert, obliegt. Beide stimmen sich sowohl miteinander als auch mit ihren jeweiligen Einsatzkräften ab und sind in kontinuierlichem Austausch über Entwicklungen und notwendige Entscheidungen. Informationen erreichen sie auf verschiedenen Wegen wie bspw. Funksprüchen und werden oft in Form von Instruktionen an das jeweilige Team weitergegeben. Dieser Austausch findet beim MANV in einem Setting statt, das durch permanente Bewegungen, eine starke Lautstärke und hohen Druck gekennzeichnet ist. Demnach ist die effektive Kommunikation von Instruktionen von höchster Relevanz. Wie diese Effektivität erreicht werden kann, gehe ich in meiner Arbeit mit der folgenden Frage nach „Wie nutzen LNA und OrgL intra- und interpersonelle koordinative Praktiken, um Einsatzkräfte bei einer MANV-Übung zu instruieren?“.

Das Datenmaterial

Die betrachtete Fallkollektion umfasst vier verschiedene Fälle: Instruktionen von zwei Personen, Instruktionen einer größeren Gruppe, Instruktionen über eine größere Distanz und die Instruktion nach einem Handlungsvorschlag. Das Material wurde mithilfe von Eye-Tracking Kameras sowie festen und mobilen Kameras aufgenommen, sodass die Situationen bestmöglich visuell abgedeckt wurden. Die entstandenen Daten wurden mithilfe von ELAN und der multimodalen Konversationsanalyse nach Gülich/Mondada (2008) ausgewertet. Zugrunde liegt das Wissen um die Notwendigkeit von Koordination für jede alltägliche Interaktion. Die konstitutiven Aspekte von Koordination können nach Deppermann/Schmitt (2007) in Zeitlichkeit, Räumlichkeit, Multimodalität und Mehrpersonenorientierung eingeteilt werden. Weiterhin wird zwischen den Grundformen der intrapersonellen und interpersonellen Koordination unterschieden. Bei der intrapersonelle Koordination werden die Ausdrucksmodalitäten des eigenen Verhaltens mit- und aufeinander abgestimmt, während die interpersonelle Koordination die zwischenmenschliche Koordination umfasst, bei der eigene Handlungen und Verhaltensweisen auf die anderer Interaktionsbeteiligten abgestimmt werden (vgl. ebd., S. 32ff.)

(C) Dr. Maximilian Krug
Die Antwort

Als Antwort auf die Forschungsfrage, wie LNA und OrgL intra- und interpersonelle koordinative Praktiken zur Instruktion von Einsatzkräften bei einer MANV-Übung nutzen, ergab sich eine Systematik von vier Phasen, innerhalb derer Instruktionsäußerungen mithilfe unterschiedlicher koordinativer Tätigkeiten begleitet wurden. 

Die erste Phase lässt sich als „Phase zur intrapersonellen Ausrichtung zur Herstellung fokussierter Interaktion“ fassen. Der Instrukteur muss sich zuerst selbst intrapersonell koordinieren, um eine optimale Ausgangsposition zum Beginn der Instruktion herzustellen. Die daran anschließende Phase umfasst die Herstellung fokussierter Interaktion. Durch die intrapersonelle Ausrichtung wird die Voraussetzung geschaffen, fokussierte Interaktion herzustellen und in ein face engagement einzutreten. Die fokussierte Interaktion wird wiederum durch die interpersonellen koordinativen Tätigkeiten hergestellt. War die korrekte Adressierung hergestellt, konnte Phase 3, die „Verbale Aushandlung der Instruktion“, beginnen. Die Äußerung der Instruktion selbst umfasst bei allen Fällen deiktische Verweise, die sowohl verbal als auch gestisch umgesetzt werden. Um die deiktischen Verweise eindeutig zu machen, erfordert dies eine intrapersonelle Ausrichtung der Zeigenden auf das Zeigeziel bzw. den Suchraum (vgl. Stukenbrock, 2015, S. 37f). Dies geschieht durch eine Neuausrichtung des Blicks sowie der Körperorientierung. Diese intrapersonelle Koordinierung ist also zur Orientierung der zeigenden Person notwendig. Hierdurch werden aber auch gleichzeitig interpersonell Informationen gegeben, um die Zeigehandlung zu deuten und sich wiederum an ihr zu orientieren. In der vierten Phase, der „Kontrollphase“ wird Rückfragen und Kontrollhandlungen explizit Raum gegeben. Nach Abschluss der Instruktionsäußerung ist die erwartbare Anschlusshandlung der Einsatzkräfte die Umsetzung der Instruktion und die jeweilige Neuausrichtung auf eben jene Aufgaben. Dies geht mit einer intrapersonellen Koordination auf die neue Aufgabe einher, was ebenfalls in allen Fällen sichtbar wird.

Somit lässt sich die Forschungsfrage damit beantworten, dass koordinative Tätigkeiten maßgeblich zum Erfolg einer Instruktion beitragen, da es durch sie möglich ist, Instruktionssequenzen zu eröffnen, zu strukturieren und zu beenden und den Einsatzkräften auch nonverbal relevante Informationen über die Instruktion mitzuteilen. Außerdem konnten Instruktoren durch interpersonelle observierende Tätigkeiten im Anschluss an die Instruktionsäußerung auch bei Nicht- oder Falschumsetzung eingreifen. Diese Informationen konnte ebenfalls der intra- und interpersonellen Ausrichtung der Einsatzkräfte entnommen werden.

Die Perspektive

Da die vorliegende Studie den Fokus auf die Äußerung der Instruktion gelegt hat, wäre es ein nächster Schritt, die entsprechende Umsetzung im Rückbezug auf die Instruktionsäußerung zu untersuchen. Während der Umsetzung der Instruktionen sind die Einsatzkräfte teilweise mit Patienten unter hohem Leidensdruck konfrontiert und müssen unter deren Einfluss dennoch strukturiert und effizient ihre Aufgabe umsetzen. Dies kann die Umsetzung einer Instruktion erschweren. Um Instruktionen im MANV-Kontext zu optimieren, wäre durch weitere Forschung nachzuvollziehen, welche Ressourcen in Notfallsettings am relevantesten für die instruierten Personen sind bzw. welche Faktoren zum Nicht-Gelingen einer Instruktion beitragen und denen gegebenenfalls vorgebeugt werden kann. Denn das übergeordnete Ziel der Einsätze ist die Rettung und Versorgung von Verletzten unter Extrembedingungen und jede Optimierung von Handlungsabläufen innerhalb dieser Settings ist wünschenswert, da sie Leben retten kann.

Durch meine studentische Nebentätigkeit am kommunikationswissenschaftlichen Institut in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Karola Pitsch erhielt ich über meine Studieninhalte hinaus unter anderem Einblick in die Forschungsarbeit im Bereich MANV. Die Faszination für diesen Themenkomplex begleitet mich auch weiterhin in meiner Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Pitsch. Das verwendete Datenmaterial wurde mir vom Arbeitsbereich Multimodale Kommunikation, Soziale Interaktion & Technologie (vgl. Institut für Kommunikationswissenschaft 2022) für meine Masterarbeit zur Verfügung gestellt.


Literatur- und Quellenverzeichnis

Deppermann, A., Schmitt, R. (2007). Koordination. Zur Begründung eines neuen Forschungsgegenstandes, in: Schmitt, R. (Hrsg.), Koordination: Analysen zur multimodalen Interaktion. Narr Francke Attempto, S. 15 – 54.

Gülich, E., Mondada, L. (2008). Konversationsanalyse: eine Einführung am Beispiel des Französischen. Niemeyer.

Institut für Kommunikationswissenschaft (2022): Forschung & Projekte. Kommunikation in der Katastrophen-Medizin [online] https://www.uni-due.de/kowi/mukom/forschung_manv [Zuletzt abgerufen am 07.11.2023].

Stukenbrock, A. (2015). Deixis in der face-to-face-Interaktion. De Gruyter.


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