Von Timo Claßen.
In Deutschland leben rund 10,5 Millionen Hunde (vgl. ZZF, 2025). In Essen sind über 25.000 Hunde offiziell gemeldet (vgl. Stadt Essen, 2022). Wer mit Hund unterwegs ist, begegnet also zwangsläufig anderen Hundehalter:innen. Obwohl viele Begegnungen reibungslos verlaufen und meist das Traumbild in den Köpfen der Menschen vorherrscht – bei dem die Hunde ohne Leine auf der Wiese spielen, sich gegenseitig beschnuppern, um sich kennenzulernen, und Herrchen und Frauchen ein nettes Gespräch führen –, zeigt sich oft auch ein anderes Bild.
Es besteht häufig das Vorurteil, dass die Anschaffung eines Hundes automatisch dazu führt, leichter mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und durch den Hund zwangsläufig eine Interaktion oder ein Gespräch entsteht (vgl. Garber 1997: 20). Doch es entstehen auch immer wieder Situationen, in denen kein Kontakt gewünscht ist – sei es aus Rücksicht auf den eigenen Hund, aus Zeitgründen oder wegen schlechter Erfahrungen.
Die Forschung konzentriert sich bislang vor allem auf medizinische und therapeutische Aspekte (vgl. Solomon, 2010) sowie auf die Mensch-Hund-Kommunikation (vgl. Ohl, 2013). Studien zur Kommunikation zwischen Hundehalter:innen sind selten und befassen sich meist mit dem Verhältnis zwischen Trainer:innen und Hundehalter:innen (vgl. Hansch, 2018; Schaal & Daugschieß-Thumm, 2012). Begegnungen zwischen Hundehalter:innen selbst sind bisher kaum untersucht.
Was ist Widerstand überhaupt?
Widerstand ist als ein kommunikatives Phänomen zu betrachten, bei dem Interagierende projizierte Handlungsverläufe des Gegenübers durch verschiedene Praktiken nicht erfüllen. Dabei sind Interagierende diejenigen, die potenziell miteinander in ein Gespräch oder in Kontakt treten. Handlungen sind in diesem Zusammenhang Verhaltensweisen, die durch das Verhalten des Gegenübers evoziert oder eben dadurch abgebrochen werden. Praktiken bezeichnen die Art und Weise, wie Handlungen und deren Verläufe realisiert werden – etwa durch die multimodalen Fähigkeiten des Menschen (vgl. Benwell & Rhys, 2023: 526–527).
Vier Formen von Widerstand
Anhand von drei narrativen Interviews (Petra, Margarethe, Christian und Sarah) wurden vier Widerstandspraktiken analysiert: Block, Stall, Sequential-Standoff und Wenn-dann-Drohung. Diese wurden auf Grundlage eigener Alltagserfahrungen ausgewählt. Die Analyse wurde auf Basis von Mayrings qualitativer Inhaltsanalyse mithilfe von QCAmap durchgeführt (vgl. Mayring, 2022; Mayring & Fenzl, 2019).
Block
Diese Praxis beschreibt die direkte Ablehnung einer Interaktion (vgl. Huma & Stokoe, 2023: 630–644). Petra berichtet von Begegnungen mit anderen Hundehalter:innen, bei denen sie sagt: „dass sie bitte den Hund anleinen sollen“ (Interview 1, #00:03:10#), worauf oft nur zurückgerufen werde: „dass das ja Unsinn ist“. Sie macht deutlich, „dass [sie] jetzt nicht will, dass der Hund ankommt“ (Interview 1, #00:13:47#), und nennt auch Ausreden wie: „der Hund beißt oder ist krank, und der Kontakt stellt deshalb ein Problem dar“ (Interview 1, #00:09:58#).
Margarethe ruft meist schon aus der Ferne: „Mach bitte [den] Hund fest“ (Interview 2, #00:00:46#), erhält darauf aber häufig die Antwort: „Ja, der tut ja nix.“ Sarah und Christian sagen: „Können Sie bitte weitergehen“ (Interview 3, #00:23:28#) oder: „Ich habe es eilig, ich muss jetzt leider weiter“ (Interview 3, #00:27:22#), um die Interaktion direkt zu unterbinden.
Sie zeigen ihren Widerstand auch durch klare Ignoranz – auch wenn sie diese selbst nicht so klassifizieren würden: „dass ich nicht aktiv ignoriere, sondern mich wirklich aktiv mit dem Hund beschäftige“ (Interview 3, #00:23:49#).
Stall
Hier wird das Gespräch verzögert, statt es abzubrechen – oft, um Höflichkeit zu wahren und die explizit dispräferierte Antwort hinauszuzögern (vgl. Huma & Stokoe, 2023: 630–644). Petra sagt: „[Ich] versuch[t] halt irgendwie möglichst in kurzen Worten, Sätzen, wie auch immer, da klarzumachen, (.) dass [sie] das jetzt trotzdem nicht will oder warum [sie] das nicht will“ (Interview 1, #00:09:32#). Dadurch verzögert sie die Progressivität der eigenen Interaktion und gleichzeitig auch das Gespräch der anderen Hundehalter:innen.
Mit der Aussage „Früher war ich noch viel zu nett“ (Interview 1, #00:13:03#) macht sie deutlich, dass sie zunächst versucht, das Taktgefühl zu wahren. Sarah und Christian erklären den Hundehalter:innen: „Ja, aber meiner macht gegebenenfalls etwas […] Deswegen nehme ich den lieber an die Seite“ (Interview 3, #00:07:21#).
Oft wird in solchen Situationen mit Unverständnis reagiert, das Gespräch jedoch nicht direkt beendet. Stattdessen erhalten sie häufig Antworten wie: „Ach, das ist ja auch gar kein Problem“ (Interview 3, #00:07:21#).
Sequential-Standoff
Wenn beide Parteien auf ihrer Position oder in ihrer Interaktion beharren, friert die Situation ein (vgl. Raymond et al., 2023: 659–670). Petra sagt: „Die Hunde klären das unter sich“ (Interview 1, #00:04:05#) und muss dann versuchen, „den anderen Hund am Halsband […] loszuwerden“ (Interview 1, #00:04:05#).
Sie schildert außerdem: „Man hat halt mit dem Hund trainiert, und dann […] gehen die Leute mit ihrem Hund vorbei und fangen an, mit einem zu reden“ (Interview 1, #00:18:05#). Sarah und Christian berichten: „Wenn [ich] ihn […] abschirme, dann kommt häufig so eine Reaktion: Ach, lassen Sie den doch mal vor“ (Interview 3, #00:03:26#).
Wenn-dann-Drohung
Wenn-dann-Drohungen sind direkte Drohungen, bei denen angedeutet oder ausgesprochen wird: Wenn eine bestimmte Handlung nicht ausgeführt wird, folgt eine Konsequenz (vgl. Flint & Rhys, 2023: 8–12; Hepburn & Potter, 2011).
Petra sagt: „Wenn man dann sagt, ja, mein Hund ist aber nicht lieb oder hat irgendwie Krankheiten“ (Interview 1, #00:08:47#) – und droht damit implizit den Hundehalter:innen. Auch Sarah und Christian nutzen diese Praktik in abgeschwächter Form: „Nee, der ist nicht kastriert, und ich will ja nicht, dass hier ein Unfall passiert“ (Interview 3, #00:05:31#).
Margarethe hingegen formuliert klare Drohungen: „Wenn meinem Hund was passiert, dann bezahlst du das […] oder wenn mein Hund geschwängert wird, dann bezahlst du das“ (Interview 2, #00:10:57#).
Fazit
Die Analyse zeigt, dass Hundehalter:innen, die keinen Kontakt wünschen, diesen meist durch einen Block zu verhindern versuchen. Gelingt das nicht, folgt häufig ein Stall, also eine höflich-verzögernde Strategie. Reagiert das Gegenüber mit Ignoranz oder eigener Beharrlichkeit, entsteht ein Sequential-Standoff, bei dem keine Seite nachgibt. In Einzelfällen wird dieser durch eine Wenn-dann-Drohung aufgelöst.
Widerstand tritt dabei sowohl verbal als auch nonverbal auf. Auffällig ist, dass trotz klarer deontischer Ansprüche – etwa bei Sicherheitsbedenken – häufig gegengehandelt wird.
Da es bislang kaum Forschung zur Kommunikation zwischen Hundehalter:innen gibt, sind die drei Interviews als explorativ zu verstehen. Künftige Studien könnten mit einer größeren Datenbasis Widerstandspraktiken, Normen und Erwartungen systematisch untersuchen – beispielsweise mithilfe teilnehmender Beobachtung oder durch die Anfertigung konversationsanalytischen Materials.
Interessant wäre zudem herauszuarbeiten, ob die Interviewten mit bestimmten Vorannahmen vorbelastet sind – und ob andere Hundehalter:innen in ähnlichen Situationen möglicherweise ganz anders handeln würden.
Literaturverzeichnis
Benwell, Bethan / Rhys, Catrin (2023): Phase Structure and Resistance to Progressivity in Complaints Calls to NHS. In: Journal of Language and Social Psychology, Vol. 42 (5–6), S. 523–543. DOI: 10.1177/0261927X231185751.
Flint, Natalie / Rhys, Catrin S. (2023): Teenage Resistance to Parental Threat: Intercepting an Action-in-Progress as a Form of Resistance. In: Journal of Language and Social Psychology, S. 1–20. DOI: 10.1177/0261927X231185736.
Garber, Marjorie (1997): Die Liebe zum Hund. Beschreibung eines Gefühls. 2. Aufl. Frankfurt a.M.: S. Fischer.
Hansch, Alexandra (2018): Coaching für Hundetrainer. Erfolgreich kommunizieren mit Hundehaltern. Stuttgart: Ulmer.
Hepburn, Alexa / Potter, Jonathan (2011): Threats: Power, Family Mealtimes and Social Influence. In: British Journal of Psychology, Vol. 50 (1), S. 99–120. DOI: 10.1348/014466610X500791.
Huma, Bogdana / Stokoe, Elizabeth (2023): Resistance in Business-to-Business “Cold” Sales Calls. In: Journal of Language and Social Psychology, Vol. 42 (5–6), S. 630–652. DOI: 10.1177/0261927X231185520.
Mayring, Philipp (2022): Qualitative Inhaltsanalyse. 13. Aufl. Basel: Verlagsgruppe Beltz.
Mayring, Philipp / Fenzl, Thomas (2019): Qualitative Inhaltsanalyse. In: Bauer, Nina / Blasius, Jörg (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, S. 687–693.
Ohl, Frauke (2013): Körpersprache des Hundes: Ausdrucksverhalten erkennen und verstehen. 3. Aufl. Stuttgart: Ulmer.
Raymond, Geoffrey / Chen’, Jie / Whitehead, Kevin A. (2023): Sequential Standoffs in Police Encounters With the Public. In: Journal of Language and Social Psychology, Vol. 42 (5–6), S. 653–678. DOI: 10.1177/0261927X231185529.
Salomon, Olga (2010): What a Dog Can Do: Children with Autism and Therapy Dogs in Social Interaction. In: Ethos, Vol. 38 (1), S. 143–166.
Schaal, Monika / Daugschieß-Thumm, Ursula (2012): Kommunikation mit dem Hundehalter. Stuttgart: Ulmer.
Onlinequellen
Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschland e.V.:
https://www.zzf.de/marktdaten/heimtiere-in-deutschland (Letzter Zugriff: 21.03.2025, 13:12 Uhr)
Stadt Essen:
https://www.essen.de/meldungen/pressemeldung_1484722.de.html (Letzter Zugriff: 21.03.2025, 13:18 Uhr)
QCAmap:
https://www.qcamap.org/ui/de/home (Letzter Zugriff: 21.03.2025, 14:00 Uhr)