von Celina Hellmich und Kristin Lenßen.
Im Oktober 2025 fand eine groß angelegte Übung von Einsatzkräften der Feuerwehr und Polizei statt, um eine Amok-Lage mit einem Massenanfall von Verletzten (MANV) für den Ernstfall zu proben. Die Arbeitsgruppe Multimodale Kommunikation, Soziale Interaktion & Technologie unter der Leitung von Prof. Dr. Karola Pitsch war mit technischer Ausrüstung hautnah dabei.
Das Forschungsinteresse
Grund für die Begleitung dieser Übung ist das Forschungsinteresse der Arbeitsgruppe an medizinischen und rettungsdienstlichen Notfallszenarien. In akuten Krisensituationen wie einem MANV muss eine Vielzahl an Betroffenen von Ärzt*innen, Feuerwehr- und Polizeikräften sowie Rettungssanitäter*innen und Hilfsorganisationen schnellstmöglich versorgt werden. Die Einsatzkräfte agieren unter erschwerten Bedingungen, denn bei einem MANV-Szenario sind sowohl die Zeit als auch die verfügbaren medizinischen Ressourcen wie Personal und Ausstattung oft zu knapp, um alle Verletzten und Erkrankten gleichzeitig zu versorgen (vgl. Ellebrecht 2009: 231, Pitsch / Krug 2023). Mithilfe der Triage, einem systematischen Kategorisierungsverfahren, kann das medizinische Personal den Gesundheitszustand der Verletzten schnell bewerten und nach Behandlungsdringlichkeit priorisieren (vgl. ebd.). Die Triage dient somit nicht nur der effektiven Ressourcennutzung, sondern auch der Maximierung der Überlebenschancen der Betroffenen. Für die Einsatzkräfte birgt das MANV-Szenario somit große koordinative Herausforderungen, die aus wissenschaftlicher Perspektive mit interessanten kommunikativen Besonderheiten und Herausforderungen verknüpft sind.
Vom Kowi-Lab ins Einsatzfeld
Bevor wir zum Ort des MANV-Übungsgeschehens starten können, gibt es einiges in der Arbeitsgruppe vorzubereiten. Kabel müssen sortiert und gezählt, Kameras und Laptops überprüft sowie Funkmikrofone und zahlreiche Akkus geladen werden. Zusätzlich werden noch mehrere Stative, Powerbanks, Klappen, Funkstrecken und selbstverständlich die EyeTracking-Sets eingepackt, mit denen später möglichst genau untersucht werden kann, wohin die Einsatzkräfte schauen und welche Informationen sich in ihrem visuellen Aufmerksamkeitsfokus befinden. In einem letzten Team-Meeting besprechen wir dann noch offene Fragen und gehen den Ablauf der Übung Schritt für Schritt durch. Auf der Tagesdisposition sammeln sich schließlich alle wichtigen Infos: Wer befindet sich in welchen Erhebungsteams? Welches Equipment müssen die Teams bei sich haben? Welche Einsatzkräfte werden wie ausgestattet und wo genau treffen wir sie? Wie sieht die zeitliche Planung am Übungstag aus? Welche besonderen Informationen müssen wir beachten? Nach der Besprechung bleibt dann nur noch übrig: Taschen packen und Autos einräumen.
Nach einer kurzen Lagebesprechung startet am Freitagmorgen unsere Reise. Die Stimmung im Team liegt irgendwo zwischen Vorfreude und konzentrierter Anspannung – schließlich wissen wir, dass die nächsten zwei Tage intensiv werden. Am Zielort angekommen heißt es dann ausladen und orientieren. Das Orga-Team vor Ort empfängt uns freundlich und man spürt sofort: Hier wird bereits konzentriert gearbeitet und geplant. Nach einer kurzen Ortsbegehung und einem Briefing mit den Studierenden und Beobachtenden, die an der Übung teilnehmen, steht fest, wer welche Aufgaben übernimmt.
Der Rest des Tages vergeht mit letzten Vorbereitungen und einem gemeinsamen Abendessen. Alle fallen schlussendlich müde ins Bett, denn wir wissen: Morgen wird es früh.

Zwischen Blaulicht und Beobachtung
Der zweite Tag beginnt noch vor Sonnenaufgang. Um sechs Uhr sitzen wir beim Frühstück, kurz darauf sind wir bereits wieder auf dem Übungsgelände und räumen unser Equipment aus. Während der Himmel langsam heller wird, richten wir die statischen Kameras aus und prüfen unsere Taschen auf Vollständigkeit. Gelbe Westen und Armbinden markieren uns klar als Beobachtende – wir wollen erkennbar, aber nicht störend sein.
Einige Zeit später versammeln sich dann die Einsatzkräfte zum großen Übungs-Briefing. Wir halten uns zunächst zurück und fragen dann in die Reihen von Einsatzkräften, wer welche Rolle übernimmt. Haben wir unsere Einsatzteams gefunden, werden sie zum Teil mit EyeTracking-Brillen und Funkmikrofonen ausgestattet. Während des Übungseinsatzes werden wir ihnen nicht von der Seite weichen, um möglichst detaillierte Aufnahmen zu sammeln. Denn wir wollen später nachvollziehen, wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kommunikation und Entscheidungsverhalten unter Zeitdruck und Anspannung zusammenspielen.
Nach dem Briefing geht es dann zurück an den Übungsort, wo die Polizei bereits für die Übung in den Startlöchern steht. Nach einiger Wartezeit hören wir dann „Übungsstart!“. Ab jetzt heißt es: Aufmerksam sein! Wir warten alle gespannt auf das Eintreffen der Einsatzkräfte, die wir audiovisuell ausgestattet haben. Nach und nach treffen RTWs ein und plötzlich sind wir mitten drin. Es ist laut, hektisch, manchmal unübersichtlich – aber gerade das macht den Reiz dieser Forschung aus. Wir erleben hautnah, wie komplex die Arbeit von Feuerwehr, Ärzt*innen, Rettungsdienst und Polizei ist. Uns ist bewusst, dass hier echte Praxisforschung passiert. Keine Laborumgebung, keine Simulation am Bildschirm, sondern reale Einsatzbedingungen mit echten Herausforderungen und „echten“ Emotionen.
Unser Ziel ist klar: Wir wollen verstehen, wie Notfallkommunikation und Einsatzkoordination in Extremsituationen funktioniert – und wo sich durch gezielte Analysen Verbesserungen erzielen lassen. Die aufgezeichneten Materialien werden später gemeinsam mit der Feuerwehr ausgewertet.
Nach rund zwei Stunden ist der Einsatz dann beendet: Das Gelände ist gesichert, die Patient*innen sind versorgt und die Übung wird offiziell beendet. Wir bedanken uns bei den Einsatzteams, die wir begleitet haben, und finden uns nach und nach als Arbeitsgruppe zusammen. Einige schnaufen erleichtert durch, anderen kribbelt noch das Adrenalin im Blut. Nach einem kurzen Abschlussbriefing mit der Organisationsleitung folgt dann ein letzter Blick durchs Auto: etliche Taschen voll mit Equipment, Süßigkeiten, um den Zuckerhaushalt anzukurbeln, und sichtlich erschöpfte aber zufriedene Gesichter.

Forschung trifft Realität
Zwei Tage, dutzende Beobachtungen, unzählige Eindrücke. Wir sind mit dem Ziel gestartet, Notfallkommunikation wissenschaftlich zu beleuchten, und kehren mit noch mehr Fragen und spannenden Erkenntnissen zurück.
Und jetzt zurück im Lab an der UDE geht die Arbeit erst richtig los: Unzählige Videos und EyeTracking-Aufnahmen synchronisieren, Daten sichten, analysieren und auswerten. Doch der Anfang ist gemacht – und das Gefühl, Teil dieses Projekts zu sein, bleibt. Zwischen Kameras, Funkgeräten und Blaulicht haben wir nicht nur Daten gesammelt, sondern auch Respekt gewonnen: für die Menschen, die tagtäglich in Extremsituationen einen kühlen Kopf bewahren. Eine Erfahrung, die wir als Arbeitsgruppe nicht so schnell vergessen werden.
Literaturverzeichnis
Ellebrecht, Nils (2009): Triage. Charakteristika und Gegenwart eines ordnungsstiftenden Verfahrens, in: Sociologia Internationalis 47 (2), S. 229 – 257.
Pitsch, Karola / Krug, Maximilian (2023): “One, two, three!”: Coordinating and projecting simultaneous start and end of joint actions in drills of rescue activities in mass casualty incidents, in: Journal of Pragmatics 207, S. 111–127. https://doi.org/10.1016/j.pragma.2022.11.005
