Von Johanna Patyk.
Politische Talkshows wie Anne Will oder Markus Lanz ebenso wie politische Nachrichteninterviews oder TV-Duelle zu Wahlkampfzeiten sind aus der deutschen Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Diese Formate bieten Politiker*innen und anderen Meinungsmacher*innen eine Bühne, um „Fragen von öffentlichem Interesse in größeren politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen“ (Goebel 2017: 85) zu beantworten und zu diskutieren. Dabei unterliegen diese sozialen Interaktionen dem Trend steigender Unterhaltung, Polarisierung und Emotionalisierung (vgl. Röttger / Weßler 1996: 252). Konflikte zwischen den Teilnehmenden sind daher ebenso erwartbar wie gewünscht. Ein typisches Element solcher Auseinandersetzungen sind Unterbrechungen, die gezielt als praktische Ressource eingesetzt werden (vgl. Ekström 2009). Doch wie gehen die Teilnehmenden eigentlich mit diesen Unterbrechungen um?
Fragestellung
Mit dieser Frage habe ich mich im Rahmen meiner Bachelorarbeit auseinandergesetzt. Ich wollte herausfinden, wie Unterbrechungen im weiteren Verlauf der Interaktion von den Teilnehmenden kommunikativ ausgehandelt werden. Dabei ging es mir darum, zu rekonstruieren, mit welchen Praktiken Interagierende Unterbrechungen als Teil der Austragung von Konflikten bearbeiten. Um die Vielseitigkeit der politischen Fernsehlandschaft abzudecken, habe ich mich in den drei politischen Fernsehformaten Interview, Talkshow und TV-Duell beschäftigt. Mein Ziel war es, einen Vergleich zwischen diesen zu ziehen, um zu überprüfen, ob und inwiefern sich die gefundenen Praktiken in diesen ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Kontexten unterscheiden oder gleichen.
Das Datenmaterial
Die betrachtete Fallkollektion setzt sich aus sechs unterschiedlichen Fällen zusammen: zwei Fälle von Unterbrechungen in politischen Interviews (vgl. z.B. Tagesschau 2023: 08:51 – 10:58), zwei Fälle in TV-Duellen (vgl. z.B. Tagesschau 2021: 56:57 – 59:05) und zwei Fälle in politischen Talkshows (vgl. z.B. ZDFheute Nachrichten 2023: 10:32 – 12:21). Die Auswahl der einzelnen Sequenzen geschah aufgrund markierter Unterbrechungen, wie beispielsweise im Fall eines Sommerinterviews mit Alice Weidel, die den Moderator nach mehreren Phasen simultanen Sprechens anklagt. Die Erhebung der Daten erfolgte über eine Schlagwortsuche auf der Videoplattform YouTube.
Neben den ausgewählten Videoausschnitten bilden die auf dieser Grundlage angefertigten Transkripte den Ausgangspunkt der durchgeführten Konversationsanalyse.
Grundlegend für das Verständnis ist hierbei die Definition von Unterbrechungen als „starting up ‚in the midst of‘ another’s turn at talk, not letting the other finish“ (Jefferson 1983: 6 nach Bilmes 1997: 508). Die aktuell sprechende Person soll davon abgehalten werden, ihre aktuelle Tätigkeit fortzusetzen, indem jemand anderes unabhängig von einer redeübergaberelevanten Stelle ebenfalls zu sprechen beginnt. Zentral ist dabei, dass es sich bei ihnen um ein „‚members‘ evaluative construct“ (Hutchby 1992: 344) handelt, also eine normative Teilnehmendenkategorie, die ausschließlich von den Interagierenden produziert und markiert werden kann (vgl. Bilmes 1997: 511).
Die Ergebnisse
Als Antwort auf die Forschungsfrage, mit welchen Praktiken Interagierende Unterbrechungen bearbeiten und inwiefern sich diese in den verschiedenen Fernsehformaten unterscheiden, konnten zunächst drei zentrale Praktiken identifiziert werden, die die Teilnehmenden bei Unterbrechungen anwenden.
Bei der ersten identifizierten Praktik zur Bewältigung der Unterbrechung handelt es sich um die Forderung nach Zeit. In allen drei Formaten nutzte ein*e Teilnehmende*r diese Methode, um eine Verzögerung der Beiträge des Unterbrechenden einzufordern und das Rederecht für einen weiteren Zeitraum direkt zu beanspruchen. Die Forderung wird über den Vollzug einer genauen Zeitangabe realisiert. Diese variiert dabei je nach Sprecher*in, bewegt sich aber meist im Bereich kurzer Spannen wie einem Moment oder einer Sekunde.
Die zweite identifizierte Praxis zur Bearbeitung von Unterbrechungen ist die Bitte oder Forderung, den eigenen Beitrag ungestört beenden zu dürfen. Diese wurde in vier der sechs Fallbeispiele genutzt und in jedem Format beobachtet. Auch dabei variierte die konkrete situative Ausgestaltung: In zwei Fällen wurde eine Nebensequenz eröffnet, um die Forderung ausreden zu können, zu realisieren, während in zwei anderen Fällen über das Stellen einer Frage die Bitte hervorgebracht wurde, den eigenen Punkt vollenden zu dürfen und sich darüber vorerst das ungestörte Rederecht zu sichern.
Die dritte und am häufigsten aufgetretene Praktik ist das Ignorieren der Unterbrechungen und des darin aufgeführten Inhalts. Über das Nichtbeachten der simultan produzierten Beiträge und dem Fortfahren mit der eigenen Ausführung wird der Eingriff in das Rederecht der*des Einzelnen bearbeitet. Der Rückgriff auf diese Praktik zeigte sich in fünf der sechs betrachteten Fälle und war in allen drei politischen Fernsehformaten zu beobachten, besonders häufig in TV-Duellen und Talkshows. Dies deutet darauf hin, dass es die geläufigste Praktik im Umgang mit Unterbrechungen in politischen Fernsehformaten ist.
Der direkte Vergleich der Fallbeispiele und der darin gefundenen Praktiken zur Bearbeitung von Unterbrechungen offenbarte die Ähnlichkeit zwischen den einzelnen politischen Fernsehformaten. Die Teilnehmenden greifen ungeachtet des politischen Fernsehformats grundsätzlich auf dieselben bereits genannten Praktiken zur Aushandlung der Störung ihres Rederechts zurück.
Ausblick
Das Feld der Konfliktforschung im Bereich der politischen Fernsehformate mit Fokus auf dem Phänomen der Unterbrechung befindet sich erst in den Anfängen. Da der Fokus dieser Arbeit darauf lag zu rekonstruieren, welche Praktiken zur Bearbeitung der Unterbrechungen eingesetzt werden, könnte in weiterführenden Arbeiten beispielsweise untersucht werden, welche Aktivität mit dem Einsatz von Unterbrechungen von den Teilnehmenden genau gestört wird. Andererseits könnte aber auch erforscht werden, inwiefern sich die hier gefundenen Praktiken zur Bearbeitung von Unterbrechungen auf den Kontext des politischen Fernsehformats beschränken oder ob sich der Rückgriff auch in anderen, beispielsweise alltäglichen, streitenden Interaktionen wiederfinden lässt.
Literatur- und Quellenverzeichnis
Bilmes, Jack (1997): Being interrupted, in: Language in Society 26 (4), S. 507 – 531.
Ekström, Mats (2009): Power and affiliation in presidential press conferences. A study on interruptions, jokes and laughter, in: Journal of Language and Politics 8 (3), S. 386 – 415.
Goebel, Simon (2017): Politische Talkshows über Flucht. Wirklichkeitskonstruktion und Diskurse. Eine kritische Analyse, in: Cultural Studies, 49. Bielefeld: transcript Verlag.
Hutchby, Ian (1992): Confrontational talk. Aspects of ‘interruption’ in argument sequences on talk radio, in: Text. Interdisciplinary Journal for the Study of Discourse 12 (3), S. 343 – 371.
Jefferson, Gail (1983): Two explorations of the organization of overlapping talk in conversation, in: Tilburg papers in language and literature 28, S. 1 – 33.
Röttger, Ulrike / Weßler, Hartmut (1996): Interviewstile und das neue Politikbild im Fernsehen. Situative Interaktionsbeziehungen in Politikerinterviews am Beispiel ZAK, in: Jarren, Otfried / Schatz, Heribert / Weßler, Hartmut (Hrsg.): Medien und politischer Prozeß. Politische Öffentlichkeit und massenmediale Politikvermittlung im Wandel. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 251 – 269.
Tagesschau (2021). Das Triell – Dreikampf ums Kanzleramt. Baerbock, Laschet, Scholz. YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=vUOR5y5ldDo. (letzter Zugriff am 28.12.2023).
Tagesschau (2023). AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel im ARD-Sommerinterview. Bericht aus Berlin. YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=54WkZLcdfSQ&t=580s. (letzter Zugriff am 28.12.2023).
ZDFheute Nachrichten (2023). Zu viele, zu schnell – lässt sich Migration begrenzen?. Maybrit Illner vom 21. September 2023. YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=wVhNNBZXAGg&t=3135s. (letzter Zugriff am 28.12.2023).